von
Stephan Scoppetta
 
11.11.2020

“In der Krise zählt Schnelligkeit und Agilität“

Dieser Artikel erschien im Original im HORIZONT Magazin am 28. Oktober 2020

Mag. Bernhard Klein, Head of International Marketing & Group Brands bei Immofinanz, über die Corona-Krise und die Folgen für das Immobilienmarketing

 

Was sind Corona-bedingt die großen Herausforderungen im Immobilienmarketing?

Bernhard Klein: Im Retail-Bereich waren wir mit wochenlangen Schließungen unserer Shoppingcenter und Fachmarktzentren in Ost- und Südosteuropa konfrontiert. Hier mussten wir innerhalb weniger Tage unsere Retailkampagnen komplett neu ausrichten. Sämtliche im Retailmarketing stark auf OOH ausgerichteten Kampagnen wurden mit einem Schlag unbrauchbar. Die einzigen Kanäle, die uns zur Verfügung standen, waren unsere zahlreichen eigenen Social Media-Channels mit fast einer Million Follower. Gleichzeitig war die Gefahr möglicher SocialMedia-Shitstorms sehr groß, wenn z.B. weiter lustbetontes Shopping kommuniziert worden wäre. Und wir haben uns sehr schnell bereits wieder mit der Zeit nach dem Shut Down, dem berühmten New Normal, beschäftigt, haben internationale Konsumpsychologen um uns gescharrt und uns hinsichtlich des erwarteten veränderten Konsumverhaltens eingearbeitet.

Im Bereich unserer Büroimmobilien gibt es derzeit Corona-bedingt einen großen Trend zum Home Office und viele generelle Diskussionen zu diesem Thema. Hier bin ich aber überzeugt, dass dieses Pendel nach der Krise auch wieder zurückschwingen wird. Ich kenne mehr Leute, die im Homeoffice unglücklich sind und sich ein Social Office Life zurückwünschen als umgekehrt - auch bei den jüngeren Generationen. Auch haben wir mit unserer Produktfokussierung auf hohe Flexibilität bei unseren Bürolösungen die perfekte Antwort auf diese unsicheren Zeiten – das schätzen viele Unternehmen, die nicht mehr langjährige Planungen machen können. Diese Flexibilität spielen wir im Marketing thematisch stark nach vorne.

Welche Trends sehen Sie im Retail-Marketing und wie hat Corona das Marketing der Immofinanz verändert?

Klein: Derzeit hat das bedarf-orientierte Einkaufen mehr Gewicht als das konsumorientierte, hedonistische Shoppen. Entsprechend muss man das in der Werbung auch abbilden. Drei lachende High-Heels Mädchen am Werbesujet mit dutzenden Shoppingbags in den Armen würden jetzt nicht mehr funktionieren. Eher die fürsorgliche Mutter mit ihrem Kind am Arm, die eine kurze Auszeit vom Alltag genießt. Diese Stimmungslage wird uns noch weit ins nächste Jahr hinein begleiten. Hedonistische, feierwütige Show Off-Konsumenten mit überschäumender Lebensfreude wirken derzeit wie aus der Zeit gefallen. Jetzt stehen Themen wie Sicherheit, Familie, Fürsorge, Nachbarschaft sowie Regionalität und Handwerk im Fokus der Konsumenten. Entsprechend haben wir alle Retail-Werbelinien sehr rasch auf die neuen Post-Corona Konsumbedürfnisse neu ausgearbeitet und rasch in den Ländern ausgesteuert.

Ein zweiter Trend: Digital-Marketing wurde – no na - noch wichtiger als es schon bisher war.

Welche Besonderheiten galt es dabei zu beachten?

Klein: Wir haben am Tag 1 des Shut Downs - analog zu dem allseits bekannten psychologischen Ablauf von Krisen – ein 4-stufiges Online-Marketingprogramm gestartet, von „Shut Down“, „Ongoing Breakout“, „Revovery“ und „New Normal“, mit vorgegebenen Content, starker Zentralisierung und engster Abstimmung mit allen Ländern. Damit haben wir auch die Geschwindigkeit bzw Effizienz erreicht, die in solchen Ausnahmezeiten notwendig ist. In jeder dieser Phasen haben Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Im Shutdown waren die Konsumenten verängstigt und haben Dinge gemacht, über die wir heute vielleicht lachen würden, z.B. Nudeln und Klopapier horten. Im „Ongoing Breakout“ setzte langsam die Langeweile ein. Menschen suchten Abwechslung und Inspiration. Hier kamen Themen wie Kochen, Heimwerken, Online-Yoga, etc sehr gut an, wir sendeten richtigen Infotainment-Content, auch in starker Kooperation mit lokalen Influencern. Während der Recovery-Phase hatten wir diese Influencer dann in die Shopping-Center geschickt, näher an die Produkte und z.B. Öffnungsdaten kommuniziert. Die nachfolgenden Openings wurde richtiggehend zelebriert. In der Phase des New Normals sind wir jetzt. Mit entsprechend verändertem Konsumverhalten wie bereits erwähnt.

Wie gut funktionierte dieser Ansatz im Bezug auf Umsatz und Besucherfrequenz in all den Ländern, in denen Sie mit Shopping-Centern vertreten sind?

Klein: Neben unseren Marketingstrategien in den letzten Monaten kommt uns auch die spezifische Lage und Marktpositionierung unserer Häuser zugute. In den vergangenen Monaten verzeichneten Einkaufstempel in Haupt- und Großstädten deutliche Verluste. Wir dagegen haben unsere Center in den vergangenen Jahren bevorzugt in mittelgroßen Städten in Zentral- und Osteuropa errichtet, in sogenannten Zweit- und Drittstädten, wo der Retail noch nicht ganz so entwickelt ist. Wie sich zeigt, hat sich diese Strategie gelohnt, denn für die Grundversorgung sind sie dort unverzichtbar, speziell unsere 90 Fachmarktzentren, die sich gerade als sehr krisensicher erweisen.

Große Einbrüche gab es v.a. auch im Luxussegment. Wie lässt sich das erklären?

Klein: Jetzt ist nicht die Zeit für Luxus. Die Menschen fürchten um ihre Jobs und damit konzentrieren sie sich darauf, was sie wirklich brauchen.

Der Onlinehandel hat in den vergangenen Monaten deutlich zugelegt. Fürchten Sie nicht, dass Shopping-Center ein sterbendes Geschäftsmodell sind?

Klein: Das Radio hat nicht die Zeitung abgelöst, das Fernsehen nicht das Radio und das Internet nicht alle anderen Medien. Ähnlich wie in der Medienbranche gibt es auch beim Einkaufen die unterschiedlichsten Kanäle. Der Kuchen teil sich auf, wird aber auch größer. Natürlich, wenn man ein bestimmtes me-too-Produkt braucht, kaufen es manche Menschen bei Amazon. Aber Shopping ist mehr als nur Kaufen. Es ist ein Erlebnis, deswegen wird es auch in Zukunft Einkaufszentren geben, die den Rahmen für das Einkaufserlebnis bieten. Dazu gehören aber nicht nur Shops, sondern auch Restaurants, Services und Entertainment. Wir werden also auch in Zukunft Einkaufs-Center haben. Die Frage, die wir uns heute aber stellen müssen, ist, welche Bedürfnisse diese Shopping-Tempel erfüllen müssen, damit Leute kommen. Hinzu kommt, dass unsere Einkaufsformate – und hier vor allem die Fachmarktzentren –  auf Diskont- und Convenience-Produkte ausgerichtet sind. Diese sind vom Online-Handel kaum tangiert.

Haben Sie im Marketing 2020 weniger ausgegeben?

Klein: Wir nutzten die Krise, um unseren Share of Voice in den Märkten zu erhöhen.

Planen Sie für 2021 eine Reduktion des Marketing-Budgets?

Klein: Aus unserer Sicht wäre es falsch, jetzt die Marketingausgaben deutlich zu reduzieren. Denn wir wollen wachsen und investieren, und dafür braucht es eine kommunikative Begleitung. Die Erfahrungen aus der Eurokrise 2010/11 haben uns gelehrt, dass jetzt die Zeit ist, Marktanteile zu gewinnen und dieses Ziel verfolgen wir konsequent. Selbstverständlich hängt es von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab, welche Maßnahmen wir in den nächsten Monaten setzen können und müssen.

Ist die Corona-Krise nicht auch eine Art Katharsis im Marketing? Alte Zöpfe werden abgeschnitten und neue geflochten.

Klein: Die Corona-Krise hat auf jeden Fall zu einem breiten Umdenken geführt. Was sich bereits jetzt abzeichnet, ist ein großer Digitalisierungsschub. Der Trend war zwar schon vor Corona vorhanden, aber jetzt haben wir innerhalb weniger Monate einen echten Wandel in Richtung Digitalisierung erlebt. Es ist davon auszugehen, dass dieser Trend anhalten wird. Redete man vor ein paar Jahren im Retail Marketing zuerst über Print und Plakate und erst dann über Digital, so hat sich diese Reihenfolge komplett umgedreht.

Auch im Office-Bereich haben Sie neue Herausforderungen zu meistern. Welche tiefgreifenden Änderungen zeichnen sich ab?

Klein: Die Diskussion, ob große Office-Flächen in Zukunft noch gefragt sind, hat bei uns zu einem Nachdenkprozess geführt. Fakt ist, dass weltweit agierende Großkonzerne in den vergangenen Monaten auf Home-Office umgestellt haben und nun erkennen, dass das auch irgendwie funktioniert. Es ist davon auszugehen, dass künftig kleinere Office-Flächen nachgefragt werden und Home-Office einen Ausbau erfahren wird. Darauf haben wir reagiert und bieten extrem flexible Bürolösungen an hinsichtlich Mietlaufzeit und schneller Adaptierung der Büroflächen für unsere Mieter.

Welche neue Kundenerfordernisse ergeben sich daraus für den Office Bereich?

Klein: Wie gesagt, die Antwort lautet: mehr Flexibilität. Die Ansprüche der Mieter ändern sich schnell und darauf müssen wir reagieren können. Gewerbefläche wird künftig so geplant, dass man diese jederzeit entsprechend der Kundenbedürfnisse vergrößern oder verkleinern kann. Das Thema Flexibilität schlägt sich auch in den Mietverträgen nieder. Waren früher Gewerbemietverträge mit einer Mietbindung von fünf Jahren üblich, sind die Laufzeiten heute deutlich kürzer.

Besteht bei den Mietern das Bedürfnis nach mehr Atmosphäre in den Büroräumlichkeiten? Setzen hier Google, Apple und Co. neue Maßstäbe?

Klein: Immobilien werden heute zur Community. Man mietet nicht einfach eine Bürofläche, man will auch Teil einer bestimmten Community werden. Dabei suchen kleine Unternehmen den Kontakt zu den großen, während diese den kreativen Input der kleinen Unternehmen brauchen. Dazu müssen Office-Immobilen gezielt in bestimmten Communities positioniert werden. Auch das Thema Lifestyle gewinnt bei Gewerbe-Immobilien an Stellenwert. Die Zeiten der standardisierten und farblosen 08/15 Allzweck-Büros sind vorbei. Heute setzt man auf Statement, auch bei der Einrichtung.

Welche Ziele haben Sie sich für das nächste Jahr im Marketing der Immofinanz gesetzt?

Klein: Geschwindigkeit im Marketing wird immer wichtiger. Hatte man früher Monate Zeit, um Kampagnen vorzubereiten, so ändern sich konsumpsychologische Stimmungsbilder heute deutlich schneller. Man muss schnell reagieren können und innerhalb weniger Wochen oder gar Tage komplette Kampagnen auf den Weg bringen. Uns gelingt das heute schon sehr gut. Das nächste große Thema für uns ist die Frage, wie der Weg zurück aus der Pandemie bzw. dem New Normal erfolgen wird und vor allem wann dies sein wird. Auch Marketing-Automation ist ein Bereich, dem wir uns derzeit verstärkt stellen. Im angloamerikanischen Raum ist man bei diesem Thema deutlich weiter, aber wir holen mit großen Schritten auf.

Bernhard_Klein.jpg